Arbeitsweise als Lifestyle-Trend: Muss das so?

Quiet quitting, loud quitting, rage applying, bare minimum monday, downshifting: Bestimmt haben sie einen oder mehrere dieser Begriffe während der letzten Monate irgendwo gelesen. Solche «New Work»-Phänomene, Trends einer neuen Arbeitswelt, geistern in regelmässigen Abständen als Videos durch diverse Social-Media-Kanäle und schaffen es, sobald einer der dazugehörenden Hashtags ein ernstzunehmendes Ausmass erreicht hat, in die Zeitungsspalten. Spätestens da werden die Social-Media-Strohfeuer in Lifestyle-Trends einer neuen Generation von Arbeitnehmenden umgeschrieben. Ganz Faule schieben sie sogar einzig und allein der «Generation Z» in die Schuhe, denn wer nach 1995 geboren wurde, ist offenbar gemeinhin arbeitsscheu und klebt sich stattdessen lieber auf den Asphalt, so die vorherrschende Meinung.

Der Arbeitgebermarkt mausert sich in vielen Branchen gerade zum Arbeitnehmermarkt und unser kapitalistisch orientiertes System findet keinen passenden Umgang damit. Fachkräftemangel auf der einen, gleichzeitig die Aussicht auf disruptive Veränderungen des Arbeitsmarktes durch künstliche Intelligenz auf der anderen Seite. Dazu noch eine Prise düstere Aussichten, wenn es um Altersrenten geht – es ist kompliziert. Sind all diese Tiktok-Trends bloss Wachstumsschmerzen? Warum reagieren wir so euphorisch bis empört auf diese Trends? Denn neu ist daran selten etwas. «Quiet quitting» etwa besagt, dass man nur Dienst nach Vorschrift schiebt und nur das tut, was im Arbeitsvertrag festgelegt ist. Wohl jede und jeder von uns kennt im Arbeitsumfeld eine oder mehrere Personen, die das genauso halten. Hand aufs Herz: Wäre das vielleicht sogar der gesündere Weg, als sich immerzu zusätzliche Verantwortlichkeiten und Aufgaben aufzubürden? Korrekt ist das Vorgehen allemal, es als Lifestyle-Trend auszuschlachten und das Verhalten gar als Problem der Generation Z zu diffamieren, ist eigentlich eine Frechheit. Beim «loud quitting» geht das Verhalten in die entgegengesetzte Richtung: Hier wird dem Arbeitnehmer lauthals gedroht, um so bessere Konditionen zu erhalten. Neu ist auch daran nichts. Wer mit seinen Arbeitsbedingungen, an erster Stelle wohl dem Salär, nicht zufrieden ist und weiss, dass er anderswo besser wegkommt, der soll sich für bessere Bedingungen einsetzen, wenn er oder sie meint, dass das gerechtfertigt ist. Davon auszugehen, dass bei diesem Vorgehen vor dem Social-Media-Zeitalter noch nie Drohungen ausgestossen wurden, wäre blauäugig. Neuer – und ein Zeichen der Zeit – ist wohl das Phänomen, dass man seine Rage anschliessend auf Tiktok oder Instagram in einem endlosen Video zelebriert.

Die Frage, die sich mir bei all diesen Trends stellt: Muss jedes Tiktok-Video, in welchem ein überbezahlter Mensch wegen seines Bullshit-Jobs in eine Sinnkrise gerät, zum neuen Lifestyle-Trend werden? Mich nervt, dass diese Themen hochgeschrieben und zugespitzt werden, gerade in der aktuellen Situation. Das mag zwar Klicks generieren, schlussendlich suhlen sich diese Artikel und ihre Kommentarspalten in der Restwärme der sonnenstrahlenden Social-Media-Influencer. Gerade wenn es um die Arbeit geht, bringen uns diese Splitterbomben nicht weiter. Denn die meisten von uns verbringen einen grossen Teil ihrer Zeit mit Arbeit – grundsätzlich ist die Arbeit etwas, das die meisten Menschen verbindet und betrifft. Hautfarbe, Geschlecht, Gesellschaftsschicht, Ausbildungsgrad: Egal, «am Mäntigmorge geisch gah bügle». Mit den gewaltigen Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, täten wir gut daran, gemeinsam Lösungen für die Zukunft zu finden – denn wöchentlich neue Social-Media-Trends können die gordischen Knoten, die wir auf dem Arbeitsmarkt zu entwirren haben, wohl kaum allein lösen.

Dieser Text erschien am Samstag, 5. August 2023, als Kolumne im Berner Oberländer / Thuner Tagblatt.

Irene Thali –  –  schrieb am 06. August 2023 –  –  in chlütterle & chlöne | mule & sürmle

Hesch öppis z'mälde?



© Irene Thali | Interlaken | Realisation: fremdefeder.ch