Bad-Hair-Week in London

Ich habe die letzten Tage viel nachgedacht. Was mich beschäftigte, war ein klassisches «first world problem», mit dem ich mich in den vergangenen Ferien herumschlug. Mit diesem kam die Einsicht, dass ich wohl doch um einiges eitler bin, als ich es mir selbst eingestehe. Aber fangen wir am Anfang an.
Endlich wieder mal ein paar Tage London geniessen. Früher, viel früher, vor fast 20 Jahren, war ich regelmässig geschäftlich in der Stadt unterwegs. Nun freute ich mich über ein paar entspannte Tage, gefüllt mit Kultur, gutem Essen und Sightseeing. Meine London-Erinnerungen waren arg verblasst, das wurde mir bewusst, als ich das Bad in unserem Hotelzimmer betrat. Wo ist die Steckdose? Langsam dämmerte es mir: Die Engländer haben ein schwieriges Verhältnis zu Stromquellen in Nasszonen. Steckdosen müssen mindestens drei Meter von einer Wasserquelle entfernt sein, so sagt es das Gesetz. In einem normalen Hotelzimmer kaum umsetzbar. Schlagartig waren sie wieder da: Die Erinnerungen an lange Tage, gefüllt mit Messe- und Kundenbesuchen und ich mittendrin, mit der gefühlt schrecklichsten Frisur, die die Welt je gesehen hat.

Das feuchte Klima, wie es auch auf den britischen Inseln vorherrscht, hat den Nebeneffekt, dass ich binnen weniger Sekunden aussehe wie Diana Ross. Eine sehr schlecht gestylte Version von Diana Ross. Statt hochtoupierter Lockenpracht sehen meine Haare eher so aus, als hätte ich in die – im Badezimmer des Hotels nicht vorhandene – Steckdose gegriffen. Mit einer Rundbürste, einem Föhn und einem Glätteisen sowie einer ausreichenden Menge an Styling-Produkten und Geduld wäre dem eigentlich beizukommen. Das Unterfangen wird durch eine fehlende Steckdose im Bad aber massiv erschwert. Leider habe ich das Haarstyling-Talent nicht von meiner Mutter, einer gelernten Damencoiffeuse, geerbt. Bei mir ist das alles sehr umständlich, und ohne ausreichend Licht und einen grossen Spiegel (mit dem richtigen Abstand, die Augen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren) bin ich verloren. Meistens habe ich Glück und irgendwo im Hotelzimmer gibt es noch einen Spiegel und eine Steckdose in sinnvoller Distanz. Nicht so dieses Mal.

Die einzig brauchbare Steckdose befand sich unter dem Nachttisch. Das Kabel des vom Hotel zur Verfügung gestellten Föhns war knapp 30 Zentimeter lang. Der nächstgelegene Spiegel? Auf der anderen Seite des Zimmers. Die tägliche Hairstyling-Routine wurde zur erniedrigenden Pflicht. Aber ich gab nicht auf: Zu gross die Eitelkeit und die Angst, dass mich «The Supremes» dank meiner wirren Haarpracht an der nächsten Strassenecke abfangen und mich zwingen, mit ihnen ein Liedchen zu trällern. Meine Laune verschlechterte sich proportional zum Volumen meiner sonst eher spärlichen Haarpracht. Ich kauerte täglich mit einem Föhn, der nur die Hitzestufen «kalt» und «Höllenfeuer» kannte, im Spalt zwischen Bett und Wand und versuchte, mir irgendwie eine Frisur zu verpassen. Wenn ich das Glätteisen zu Hilfe nahm, dessen längeres Kabel es mir immerhin erlaubte, mich auf die Bettkante zu setzen, musste meine bessere Hälfte vor mir das Smartphone mit aktivierter Kamera hochhalten, damit ich wirklich nur meine Haare glättete und mir nicht noch ein Ohr brandmarkte.

Eitelkeit – diese fängt bei mir offenbar bei ein paar widerspenstigen Haarsträhnen an.

Eitelkeit – diese fängt bei mir offenbar bei ein paar widerspenstigen Haarsträhnen an. Das war mir so nicht bewusst. Im Nachhinein frage ich mich, warum ich tagtäglich eine gute halbe Stunde für dieses Unterfangen aufgewendet habe, statt einfach mit einer schlechten Frisur eine grossartige Stadt zu geniessen. Prioritäten richtig setzen: So wichtig. Beim nächsten London-Aufenthalt, so viel ist klar, packe ich eine Mütze ein.

Dieser Text erschien am Samstag, 21. September 2024, als Kolumne im Berner Oberländer / Thuner Tagblatt.

Irene Thali –  –  schrieb am 28. September 2024 –  –  in chlütterle & chlöne | stogle & stürfle

Hesch öppis z'mälde?



© Irene Thali | Interlaken | Realisation: fremdefeder.ch