Täglich grüsst der Bullshit-Detektor

Ein ganzes Jahr. So lange beschäftigen wir uns nun schon mit diesem Proteinhäufchen namens SARS-CoV-2. Was hat dieses Pandemie-Jahr mit Ihnen gemacht? Bei mir wurde neben den allgegenwärtigen Folgen wie kaum Sozialkontakte – und wenn, dann mit Maske – und einem sich ausweitenden Homeoffice-Blues, vor allem mein innerer Bullshit-Detektor kalibriert. Das ist zwar hilfreich, aber es ist dem kaum vorhandenen Sozialleben und dem durch die vorherrschenden Umstände ausgedünnten Nervenkostüm nicht zuträglich. Die täglichen Gespräche – früher an der Kaffeemaschine, heute meist von Bildschirm zu Bildschirm – sind gespickt mit Trigger-Aussagen, die meinen Bullshit-Detektoren in regelmässigen Abständen zum Ausschlagen bringen. Wo ich früher Grosszügigkeit und Milde walten lassen konnte, geht mir nun binnen weniger Sekunden der Hut hoch.

Ich bin grundsätzlich ein grosser Freund von kritischen Diskussionen – kritisch im Wortsinn, bei abstrusen Vorstellungen, die so gar nicht dem gängigen wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Konsens entsprechen und für die das Wort «kritisch» missbraucht wird, war ich auch schon vor 2020 raus. Ich finde es spannend, differenzierte Meinungen zu hören, die nicht meinem Weltbild entsprechen, ich will diese verstehen, bestenfalls sogar etwas daraus lernen. Kurz gesagt, gebe ich mir Mühe, so wenig wie möglich dem «Confirmation Bias» aufzusitzen. Dieses psychologische Muster ist allen Menschen gemein, es besagt, dass wir gerne Dinge hören, die uns in unserem bereits existierenden Glauben und in unseren Denkmustern bestätigen und die uns somit vermeintlich einfache Lösungen bieten.

Ich brauche inzwischen nicht mal mehr ein Gegenüber, um mich heillos aufregen zu können.

Bei den Corona-Diskussionen verlasse ich diese Strasse, auf der ich bislang zeitlebens gut gefahren bin, bereits nach wenigen Metern. Durchseuchung, Schutz der Risikogruppen, Volksgesundheit, ein starkes Immunsystem als Allheilmittel, psychische Folgen des «Lockdowns», Maskenmüdigkeit, aber die Wirtschaft (!), Homeoffice oder geschlossene Restaurants und offene Skigebiete: Fallen diese Trigger-Worte, schnellt mein Puls zuverlässig in die Höhe und eine vernünftige Diskussion wird unmöglich. Meine Meinung ist gesetzt: Wenn wir uns jetzt nicht am Riemen reissen, schnell impfen und die Schutzmassnahmen durchziehen, dauert dieser Mist noch um einiges länger. Aus ethischen Gründen ist es für mich auch nicht nachvollziehbar, «nur» die Risikogruppen zu schützen und dem Virus den Rest der Menschheit kampflos zu überlassen. «Die Schwächschte nimmts» mag früher ein anerkanntes Mittel zur Seuchenbekämpfung gewesen sein, in Zeiten der Spitzenmedizin und in einer Gesellschaft, die sich ihrer fortschrittlichen Weltanschauung rühmt, frage ich mich schon, wie diese Ideen überhaupt aufkeimen können. Wenn sich mein Blinddarm entzündet, setze ich ja auch voraus, dass mir im Spital geholfen wird.

Sie merken, es geht schon wieder los… Ich brauche inzwischen nicht mal mehr ein Gegenüber, um mich heillos aufregen zu können. Geht es um das Virus, ist der «Confirmation Bias» auch mein bester Freund. Darum habe ich mir – nach den letzten Tagen, inklusive Entgleisungen im sozialen Kontext – geschworen, dass ich jetzt einfach mal die Schnauze halte. Ich mag mir selbst nicht mehr zuhören und andere haben wohl auch die Geduld verloren. An meiner Überzeugung ändert das nichts. Meinen Bullshit-Detektoren stelle ich jetzt vorerst auf lautlos, bis ich wieder Grosszügigkeit und Milde walten lassen kann.

Dieser Text erschien am Samstag, 6. Februar 2021, als Kolumne im Berner Oberländer / Thuner Tagblatt.

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