Seitlich kippen und liegenbleiben

Heuer harzt es mit der Festtagsstimmung. Trotz Kerzenschein, Adventsgebäck, mehr gemütlichen Stunden mit Tee und Buch auf dem Sofa als auch schon – das Feiertags- und Jahresendgefühl will sich nicht recht einstellen. Selbst liebgewonnenen, saisonalen Tätigkeiten haftet dieses Jahr mehr als sonst ein Geruch von lästiger Pflicht an. Das Sortiment an selbstgebackenen Weihnachtsguetzli ist um weitere zwei Sorten geschrumpft, der Adventskranz fristet ein trauriges Dasein im Schrank und soziale Aktivitäten im grossen Menschenverbund gehen wieder Hand in Hand mit dem psychischen Stress, sich irgendwas einzufangen, das einem dann die arbeitsfreie Zeit versaut. Laut einer – nicht repräsentativen – Umfrage in meinem Familien- und Freundeskreis scheine ich mit dieser Feststellung nicht allein zu sein. Die meisten fühlen sich abgekämpft wie selten zuvor: 2023 hatte es in sich, in vielerlei Hinsicht. Bei der morgendlichen Lektüre eines Lieblingsblogs stolperte ich diese Woche über folgende treffende Umschreibung des aktuell gefühlt vorherrschenden Gemütszustandes: «Man möchte nun allgemein am liebsten seitlich aus dem Jahr kippen. Und erst einmal eine Weile ruhig liegenbleiben.»

Ich bin, um beim Bild zu bleiben, jedenfalls ordentlich in Schräglage – auch wenn ich, neben der Arbeit, kaum weihnachtliche Pflichten habe, höchstens selbstauferlegte. Ich muss aufpassen, dass ich nicht eine Handbreit vor dem Ziel ins Straucheln gerate und mich dann einfach hinlege. Raufasertapeten-Studium in den eigenen vier Wänden, das wäre eine dem Energielevel angemessene Tätigkeit; Festtagstermine, Grosseinkäufe, Geschenkübergaben und das Einhalten letzter Abgabetermine eher nicht. Alles lästige Pflicht. Mit der Tageslichtlampe auf dem Schreibtisch kämpfe ich gegen Nebel, Regen und die bleierne Müdigkeit, die von mir Besitz ergriffen hat, an, um mich kriechend und röchelnd doch noch irgendwie rechtzeitig über die imaginäre Ziellinie zu hieven.

«Man möchte nun allgemein am liebsten seitlich aus dem Jahr kippen. Und erst einmal eine Weile ruhig liegenbleiben.»

Wenn diese Zeilen gedruckt sind, ist der «Festtags-Endspurt» fast geschafft. Dann stellt sich hoffentlich etwas besinnliche Stimmung ein – die haben wir uns nach diesem Jahr verdient. Auch wenn es harzt, ich freue mich auf den Moment, in dem ich mich fallenlassen und seitlich in die ineinander verschwimmenden Tage zwischen Weihnachten und Neujahr kippen kann. Erst mal liegenbleiben und 2023 noch etwas 2023 seinlassen, während man noch nicht vollständig an das anstehende, neue Jahr denken muss. Die Aussicht, auf ein paar schöne Traditionen, wie das Weihnachts-Chili und davor das Weihnachtsapéro im Buddy’s Pub an Heilig Abend, bei dem ich wiedermal hinter der Bar für Stimmung sorgen darf, lassen doch einen Schimmer an Vorfreude aufkommen.

Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen seitlichen Fall in die Festtage und genügend Zeit, um einfach mal liegenzubleiben – oder zumindest innezuhalten und sich ganz dem zu widmen, was Sie gerne tun, was Ihnen Freude bereitet. Umgeben Sie sich mit Menschen, die Ihnen wichtig sind und lassen Sie die wirre Welt einfach mal draussen vorbeiziehen. 2024 bieten sich bestimmt wieder genügend Gelegenheiten, in denen wir dem Alltag und seinen Freuden und Widrigkeiten aufrecht begegnen können.

Ich habe mich schamlos bedient: bei meinem Lieblingsblog Buddenbohm & Söhne. Der Herr Buddenbohm gehört seit längerem zu meinem fixen Tagesritual (wenn frühmorgens ein Blogbeitrag aus Hamburg da ist, wirds ein guter Tag) – ich mag die Texte, die Schreibe, die Literatur- und Musiktipps. Und ich mag es auch, an vielen Stellen der Texte zustimmend zu nicken und zu denken: «Ja, genau so geht es mir auch.» In diesen Momenten ist mir der Confirmation bias herzlich egal.

Dieser Text erschien am Samstag, 23. Dezember 2023, als Kolumne im Berner Oberländer / Thuner Tagblatt.

Irene Thali –  –  schrieb am 23. Dezember 2023 –  –  in läse & schribe | stogle & stürfle

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