Winterschlaf, bitte!

Winterschlaf oder dickes Winterfell: Es braucht derzeit ausgefeilte Strategien um möglichst gelassen und freundlich mit den aktuellen Widrigkeiten in der Welt umzugehen.

«In a world that has decided, that it's going to lose its mind – be more kind, my friends, try to be more kind.» Diese Liedzeile des britischen Singer-Songwriters Frank Turner ist seit diesem Frühjahr mein Mantra. Je kürzer die Tage, je absurder die Situation vor der eigenen Haustüre und in den Zeitungsspalten, umso mehr wiederhole ich diese Zeile immer und immer wieder still und leise für mich in meinem Kopf. Freundlicher zu sein, besonders in turbulenten Zeiten wie diesen, hört sich nach einer simplen Sache an, erweist sich jedoch oft als grosse Herausforderung.

Die Situationen, in denen ich tief durchatme und langsam bis zehn zähle, häufen sich, trotz der Tatsache, dass meine sozialen Kontakte (nicht nur) aufgrund bundesrätlicher Verordnung immer seltener werden. Das Nervenkostüm gleicht dieser Tage eher einem abgewetzten, ausgetragenen Übergangs -Jäckchen als einem dicken Wollmantel. Wünschenswert wäre «es bunkerdicks Fäu», wie es Büne Huber von Patent Ochsner besingt: «I bsorge mir no schnäu, es bunkerdicks Fäu, wo mi unverletzbar macht u wo mi schützt – vor däm Bluetbadbullschittläärloufmagerquark.» Womit wir beim nächsten Song wären, der in meiner Hitliste 2020 einen Spitzenplatz erreicht.

2020 macht es einem wirklich nicht einfach, dem allgegenwärtigen «Bluetbadbullschittläärloufmagerquark» mit mehr Freundlichkeit zu begegnen.

2020 macht es einem wirklich nicht einfach, dem allgegenwärtigen «Bluetbadbullschittläärloufmagerquark» mit mehr Freundlichkeit zu begegnen und ich habe die Befürchtung, dass sich 2021 da vorerst nahtlos anschliessen wird. Einen sicheren Tipp, wie es sich damit besser umgehen lässt, gibt es nicht. Natürlich könnte man den Newskonsum komplett einstellen und sich mit genügend Nahrung und Klopapier für den Rest des Winters in eine einsame Berghütte in den Winterschlaf zurückziehen und auf irgendeinen Frühling warten. Glauben Sie mir, ich habe diese Lösung schon ein paar Mal in Betracht gezogen, sie scheint mir jedoch wenig praktikabel. Der Rat vom Baselstädtischen Kantonsarzt Thomas Steffen klingt weniger extravagant, dafür sinnvoller: Schaffen Sie sich Ruheinseln im Alltag. Diese Idee ist nicht grundsätzlich neu, noch viel weniger sollte sie nur im Umgang mit Viren zur Anwendung kommen. Wenn Sie auf Ihrer Ruheinsel, sei das nun mit einem guten Buch auf dem Sofa oder mit der richtigen Musik in voller Lautstärke aufgedreht, die Wogen und Wellen der verrückten Welt an sich vorbeiziehen lassen, klappt es auch mit der Freundlichkeit. Zuerst einmal tun Sie sich etwas Gutes und da bekanntlich jede Reise bei sich selbst anfängt, fällt es hoffentlich auch leichter, diese Haltung und neu gewonnene Freundlichkeit gegen aussen zu tragen.

Ich werde mir künftig mehr Ruheinseln gönnen: Diese will ich nicht bis in alle Nacht Kolumnenentwürfe schreibend und wieder verwerfend verbringen, weshalb sie heute an dieser Stelle das letzte Mal von mir lesen. Vielen Dank an Sie, liebe Leserinnen und Leser, dass sie mich die letzten drei Jahre ertragen haben und vielen Dank an die Verantwortlichen des Bödeli Infos für die Plattform! Auf meinem Blog hirnflimmern.ch können Sie weiterhin von mir lesen, wenn Sie möchten – ohne Deadline und fixen Erscheinungstermin.

Dieser Text erschien als Kolumne im Bödeli Info, Weber Verlag, Ausgabe Dezember 2020.

Irene Thali –  –  schrieb am 01. Dezember 2020 –  –  in chlütterle & chlöne | läse & schribe

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