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Sprachnachrichten treiben mich in den Wahnsinn

Sprachnachrichten sind eine Erfindung des Teufels. Wenn ich auf dem Display meines Telefons sehe, dass «XY» mir eine Sprachnachricht gesendet hat, rollen sich mir die Zehennägel ein. Wenn jemand nicht telefonieren will und über genügend Hände mit Fingern verfügt, bitteschön: Schreibt mir eine SMS. Sprachnachrichten nerven – aus vielen Gründen.
Sitze ich im Zug oder Büro, mag ich nicht meine Umwelt mit «Blabla» über Nachbars Katze oder den nervenden Chef beschallen. Ich muss zuerst meine Kopfhörer aus den Tiefen meiner Handtasche hervorkramen, damit ich mir die Mitteilung anhören kann. Im schlimmsten (häufigsten) Fall liegen die Kopfhörer zu Hause auf dem Küchentisch. Ich muss mich also entweder an ein «stilles Örtchen» (im Wortsinn) zurückziehen, um die Nachricht abzuhören, oder ich warte, bis ich ein bitzeli Privatsphäre habe. In diesem Fall ist es absolut nicht förderlich, mir nach einer Viertelstunde noch sieben Text(!)-Nachrichten im Stil von «Hast Du meine Sprachnachricht erhalten?» nachzusenden.
Sprachnachrichten wecken die Fremdscham in mir: Wenn ich mir vorstelle, wie der Absender in einem Kaffee, im Ortsbus oder mitten auf der Strasse mit seinem Handy horizontal vor der Nase seinen Monolog ins Telefon gebrabbelt hat, überkommt mich eine tiefe Traurigkeit. Ich bin gegenüber neuen Technologien generell positiv eingestellt. Dass Menschen allerdings lieber in ein Gerät als direkt mit dem gewünschten Empfänger sprechen, beelendet mich.

Sprachnachrichten sparen vielleicht dem Sender etwas Zeit, nicht aber dem Empfänger.

Wenn ich mir überlege, wie selten Anrufer – sei es aus Scham, Unsicherheit oder Faulheit – eine Nachricht auf meiner Combox hinterlassen, erschliesst sich mir der Trend zur Sprachnachricht noch weniger. Wer Sprachnachrichten sendet, scheut den Dialog. Bei einer Sprachnachricht läuft man nicht Gefahr, unterbrochen zu werden. Niemand stellt Fragen. Es zählt ausschliesslich die Meinung des Senders. Betretenes Schweigen am anderen Ende der Leitung bleibt ebenfalls aus. Die Sendezeit gehört einzig und allein dem Absender. Was oft zu einem minutenlangen Monolog ohne Punkt und Komma führt; einem Monolog, dem man meist nur schlecht folgen kann. Will man sich bestimmte Stelle – zum Beispiel eine verdammte Telefonnummer – noch mal anhören, muss man sich entweder das ganze Gelaber von vorne anhören oder man versucht verzweifelt, an die richtige Stelle der Nachricht zu springen. Mit «Cervelatfingern» ist das auch auf einem grossen Smartphone-Display ein nervenaufreibender Akt.

Sprachnachrichten sparen vielleicht dem Sender etwas Zeit, nicht aber dem Empfänger. Sowieso, mit einem Anruf wäre alles viel schneller und einfacher geklärt. Darum rufe ich die Absender von Sprachnachrichten jeweils umgehend zurück (ohne vorher die Nachricht abzuhören) oder ich ignoriere die Sprachnachricht komplett. Es gibt meiner Meinung nach – ausser anatomischen – keine guten Gründe, die eine Sprachnachricht rechtfertigen. Ausgenommen vielleicht Liebesschwüre. Aber das kann ich nicht beurteilen. Denn ich höre meine Sprachnachrichten ja nie ab.

Dieser Text erschien als Kolumne im Bödeli Info, Weber Verlag, Ausgabe August 2019.

Irene Thali –  –  schrieb am 19. August 2019 –  –  in chlütterle & chlöne | läse & schribe

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