Ich war noch niemals in …

New York? Paris? Split? Fernreisen sind diesen Sommer eher umständlich und mühsam. Zeit also, unsere Heimat aus der Perspektive der zahlreichen Touristen, die uns unter normalen Umständen besuchen, zu entdecken.

Wen dieser Tage das Reisefieber packt, hat es nicht leicht. Die Grenzen zur Schweiz sind zwar wieder offen, Flieger starten in regelmässigeren Abständen in Richtung Traumdestinationen und wir sind schon fast gleich mobil wie vor «Sowas-wie-Lockdown»-Zeiten. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass wir uns beim Reisen in den öffentlichen Verkehrsmitteln ein Stück Stoff vors Gesicht hängen müssen – das scheint für einige Mitmenschen schlimmer zu sein, als die Apokalypse selbst. All unsere Urlaubspläne – durch ferne Städte flanieren, die Zehen im weissen Sand vergraben und gemütlich im Liegestuhl einen Sundowner schlürfen – zunichte gemacht! Oder zumindest ungemein verkompliziert. Wozu denn wegreisen, wenn man nicht genau weiss, ob man wieder rechtzeitig und ohne mühselige Quarantäne in heimische Gefilde zurückkehren kann?

All unsere Urlaubspläne – durch ferne Städte flanieren, die Zehen im weissen Sand vergraben und gemütlich im Liegestuhl einen Sundowner schlürfen – zunichte gemacht!

In diesen schwierigen Zeiten überzeugt unsere Heimat einmal mehr. Das internationale Flair, dass vielen von uns während der touristischen Hochsaison an den Nerven zerrt, dass wir aber erstaunlicherweise auf unseren eigenen Reisen bewusst suchen, hat sich nicht mit den Touristenströmen aus den Destinationen Interlaken und Jungfrau Region verabschiedet. Uns liegt ein Abenteuerspielplatz sondergleichen zu Füssen und die meisten von uns müssen nicht mal eine beschwerliche Reise auf sich nehmen, um etwas neues, spannendes zu erleben. Statt auf einer grossen, gelben Plastikbanane durch lauwarmes Salzwasser zu düsen, ziehen wir auf dem kühlen, türkisfarbenen Brienzersee mit dem Jetboat unsere Runden. Statt über viel zu heissen Sand, der nach einem Strandtag in allen Ritzen und Nähten unserer Habseligkeiten steckt, laufen wir über das taufrische Gras am Büetzer Beach im Neuhaus und kühlen uns im Thunersee ab. Mit dem Corona-Pass reisen wir ins ewige Eis auf dem Jungfrau Joch – vielleicht grad mehrmals diesen Sommer, wer weiss, wie stark die Temperaturen noch steigen? – oder wir wandeln auf den Spuren von James Bond und geniessen auf dem Schilthorn den fantastischen Rundblick. Wem das zu fancy ist, der geniesst die Sommerfrische am Hindenburgseeli, auf der Lombachalp, der Axalp oder bei einer Wanderung zu einer der zahlreichen SAC-Hütten in unserer Region.

«Grossstadt-Feeling» erlebt der Berner Oberländer dieser Tage auf der Höhematte: Als mein Blick heute Morgen vom Balkon über die Skyline meiner Heimat schweifte, wähnte ich mich plötzlich in London. Jungfrau, Schynige Platte, Riesenrad, Metropole – Halt! – Riesenrad? Quasi über Nacht wurde Interlaken um eine Attraktion reicher. Was ich so bestechend an dieser Idee finde? Eine Fahrt im Riesenrad ermöglicht uns einen neuen Blick auf unsere Heimat. Die Vogelperspektive ist zwar nicht so umfassend, wie bei einem Paragliding-Flug übers Bödeli – aber die Distanz zum Alltäglichen gekoppelt mit dem speziellen Erlebnis ermöglicht uns einen neuen Blick auf unser Zuhause. Vielleicht erkennen wir, warum so viele Menschen unsere Region so wunderschön finden. Geniessen wir diesen Perspektivenwechsel – und das Privileg, unsere schöne Region diesen Sommer für uns ganz neu zu entdecken!

Dieser Text erschien als Kolumne im Bödeli Info, Weber Verlag, Ausgabe August 2020.

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