Digitaler Prozess

Ferien! Damit während der Abwesenheit der Briefkasten nicht überquillt, soll die Post unsere Briefe zurückbehalten. Das kann man schnell online regeln, weiss ich vom Vorjahr. Wieder ein Vor-Ferien-To-Do abhaken. Hochmotiviert logge ich mich bei der Post mit meinem Firmen-Benutzerkonto ein – und bleibe stecken. SwissID ist jetzt ein Muss für die Anmeldung. Ich habe vor noch nicht allzu langer Zeit ein Konto erstellt. Kopfkratzen. Passwort fehlt im Passwortmanager. Bravo. Welche meiner tausend E-Mail-Adressen habe ich dafür verwendet? Grosses Glück: Gleich beim ersten Versuch erwische ich die richtige und kann das Passwort neu vergeben. Jetzt muss ich meine Postadresse verifizieren. Sind dafür mehrere Briefe und Botengänge nötig? Zu meiner Überraschung erscheint nach zwei Klicks ein grüner Haken. Woher wissen die das? «Ihre Adresse wurde durch die Post verifiziert», steht da. Die Post. Stimmt. Die müssen meine Adresse ja kennen und denen gehört der SwissID-Laden, darum auch der Zwang zur Nutzung des Services. In Ordnung ist das nicht, aber nun denn.

Zurück zum Post-Login, das mit der SwissID auf Anhieb funktioniert. Bevor es mit meinem Ansinnen weitergehen kann, informiert mich SwissID, dass ich mein Passwort seit der ersten Anmeldung im Januar 2018 – so lange ist «vor noch nicht allzu langer Zeit» also schon her – nicht mehr aktualisiert habe. Das Passwort, das ich vor etwas mehr als 60 Sekunden neu vergeben habe. Kurzes Kopfschütteln. Bloss nicht aufregen. Mit neuem Passwort gehts zurück zur Post-Website, wo ich mich problemlos anmelden kann. Sehr gut. In der Suche gebe ich «Post zurückhalten» ein, ein weiterer Klick und ich komme auf eine neue Seite, auf der ich mich wieder anmelden muss. Ich sehe mich schon, wie ich bis ans Ende meiner Tage verzweifelt von Anmeldefenster zu Anmeldefenster navigiere. Wieder eingeloggt, lande ich jedoch blitzartig an der richtigen Stelle. Ich prüfe die Daten – ist alles noch vom letzten Auftrag gespeichert. Das ging fast zu einfach, noch bezahlen, klick: Statt im Zahlungsprozess lande ich an einem Ort, der nicht für mich zugänglich sein sollte. Ich werde informiert, dass der Dienst, den ich gewählt habe, leider nicht für Firmenkonten verfügbar ist. Ihn trotzdem im Post-Firmenkonto anzubieten, finde ich ein interessantes Konzept.

Die Post verpflanzt mich hartnäckig von 3800 Interlaken nach 3806 Bönigen. Nichts gegen Bönigen, aber sie wissen, wie es hier auf dem Bödeli ist.

Kopfschütteln. Die Geschichte könnte hier zu Ende sein und ich zu Fuss unterwegs auf die rund 500 Meter entfernte Poststelle. Doch ich beisse mich weiter durch. «Schnell, online und so», sie wissen schon. Ich entscheide mich für die Erstellung eines privaten Benutzerkontos. Die SwissID bockt nicht, als ich mit ihr das zusätzliche Konto eröffne. Ich schöpfe Hoffnung. Genervt klicke ich mich durch eine Kaskade an Anleitungen. Zu meiner Überraschung muss ich am Ende meine Postadresse angeben. Die Handhabung des Adressformulars lässt zu wünschen übrig, die Post verpflanzt mich hartnäckig von 3800 Interlaken nach 3806 Bönigen. Nichts gegen Bönigen, aber sie wissen, wie es hier auf dem Bödeli ist.

Irgendwann akzeptiert die Post widerwillig meinen Wohnort. Ich wähne mich nur noch ein paar Klicks von briefkastenleeren Ferien entfernt. Doch: Ätschbätsch! Damit ich die Dienste nutzen kann, muss ich zuerst meine Postadresse verifizieren. Die gleiche Postadresse, die die Post eben für ihre SwissID online verifiziert hat. Den dafür nötigen Code erhalte ich in den nächsten Tagen. Per Post. «Wer einen Sch…-Prozess digitalisiert, hat danach einfach einen digitalen Sch…-Prozess», schiesst es mir durch den Kopf. Ich schalte den Computer aus, schnüre meine Schuhe und schlurfe Richtung Post… Frische Luft und Ferien habe ich jetzt nötig.

Dieser Text erschien am Samstag, 27. Mai 2023, als Kolumne im Berner Oberländer / Thuner Tagblatt.

Irene Thali –  –  schrieb am 28. Mai 2023 –  –  in chlütterle & chlöne | läse & schribe | mule & sürmle

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