Die Welle ist gebrochen!

Wir schreiben den 692. März 2020 nach Covid-Standard-Time und endlich gibt es einen Erfolg zu vermelden: Die Schweiz hat es geschafft, die Welle zu brechen!

Mit Massnahmen made by Economiesuisse, einer äusserst durchschlagenden Infektionsstrategie in den Schulen und der wichtigsten Tugend aller Schweizerinnen und Schweizer, der Eigenverantwortung, ist das gelungen, wovon zahlreiche Staaten träumen. Nicht umsonst ist das Modell eines für uns Amateure häufig als konfus empfundenen Massnahmen-Mixes überall als «Schweizer-Käse-Modell» bekannt. Wir haben es tatsächlich geschafft – trotz offener Beizen und besetzter Stammtische: Die Empörungswelle ist gebrochen. Wir befinden uns jetzt im ruhigen Fahrwasser der Resignation.

Ein langgezogenes, monotones Piepen hallt durch die sozialen Medien und die Kommentarspalten. Es ist vorbei, kein Puls ist mehr auszumachen. Aufkeimende Empörungswellen fallen auf halber Strecke in sich zusammen. Die täglichen Meldungen rund um Sars-Cov-2 sind den Medien nur noch einen müden Eintrag, gespickt mit Rechtschreibfehlern, im fast 700 Tage alten Newsticker wert. Ob dieser Zustand nun der Wucht der Omikron-Wand zuzuschreiben ist, die derzeit ganze Familien, Teams und Freundeskreise plattwalzt, oder ob uns einfach die Unsicherheit, Unzufriedenheit und Dauerempörung der vergangenen zwei Jahre übermannt hat – schwer zu sagen. Wahrscheinlich steckt ein bisschen von allem hinter unserer Ermüdung.

Die täglichen Meldungen rund um Sars-Cov-2 sind den Medien nur noch einen müden Eintrag, gespickt mit Rechtschreibfehlern, im fast 700 Tage alten Newsticker wert.

War es das jetzt mit dieser Pandemie? Es wäre uns zu gönnen. Dennoch beschleicht mich die leise Ahnung, dass uns die aktuelle «Vogel-Strauss-Taktik» demnächst wieder einholen wird. Ich fürchte mich weniger vor einer neuen Virusvariante, auch wenn der Versuch, in der aktuellen Lage gesund zu bleiben, anstrengender als auch schon ist. Worauf ich partout keine Lust mehr habe, ist, dass sich unsere Landesregierung und die Behörden noch länger öffentlich um Kopf und Kragen lavieren. Ich kann es nicht mehr ertragen. Mein politisches Selbstverständnis und meine Sicht auf unser demokratisches System haben während der Pandemie arg gelitten. Daran tragen weniger die Massnahmen – oder das Fehlen ebendieser – Schuld, und auch mit einem gewissen Zickzack-Kurs kann ich leben. Ist schliesslich für viele von uns die erste Pandemie. Was mich hingegen kopfschüttelnd zurücklässt, ist die Art und Weise, wie kommuniziert wird. Da beschäftigen Bundesräte und Behörden eine Horde an Kommunikationsprofis und dabei kommt so Quatsch raus wie «wir arbeiten nicht mit Modellen, wir arbeiten mit der Realität», «die richtige Anwendung einer FFP2-Maske ist wesentlich komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint» oder die unerträgliche Dauer-Überraschtheit.

Die Kommunikationsstrategie passt sich der Pandemiebekämpfung an: Man wurstelt sich durch. Es kommt erst etwas, wenn der Druck unermesslich hoch wird. Dann folgt «Gummisprech» in bester politischer Manier. Auf eine Einordnung oder Reaktion der Presse als «4. Gewalt» im Staat wartet man oft vergebens. Aussagen werden ungefiltert übernommen, höchstens wenn sich Empörung breit macht, wird auf die eine oder andere Weise miteingestimmt. Jetzt ist diese Empörung der Gleichgültigkeit gewichen. Ob das langfristig gut geht? Bei allen Herausforderungen, die auf unser Land, ja auf die Welt zukommen, bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft wieder empörte Stimmen laut werden.

Dieser Text im Frühjahr 2022 als Kolumne erscheinen sollen. Er war dann wohl doch etwas zu medienkritisch… Schiins... ¯\_(ツ)_/¯

Irene Thali –  –  schrieb am 01. November 2022 –  –  in chlütterle & chlöne | schwurble & liire

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