Ich habe die SwissCovid-App installiert und aktiviert. Bedenken habe ich. Diese beziehen sich nicht auf die App oder den Datenschutz, sondern auf meine psychische Gesundheit. Was tut ein arztscheuer Mensch wie ich, sollte plötzlich die Meldung in der App aufflammen, dass ich mich möglicherweise mit dem Coronavirus angesteckt habe? Ich hoffe, dass ich es nicht herausfinden muss. Als flammende Verfechterin von Privatsphäre und Datenschutz hat die sofortige Installation und Aktivierung der SwissCovid-App in meinem Umfeld für Stirnrunzeln gesorgt. Bis vor ein paar Wochen war ich diejenige, die sofort in laut protestiert hat, sobald sich die Coronavirus-Diskussion in Richtung Contact-Tracing-App bewegt hat.
Eine Contact-Tracing-App, wie zuerst angedacht – mit zentralem Datenspeicher und Sammlung von Standortdaten – hätte ich nie im Leben auf mein Smartphone geladen. Mit dem DP3T-Protokoll, wie es die SwissCovid-App verwendet, fühle ich mich wohl und bin auch ein bisschen stolz, dass die technischen Hochschulen unseres Landes Geburtsstätte dieser datenschutzverträglichen Lösung sind. Klar, jedes Protokoll kann gehackt werden, aber es gibt zahlreiche wesentlich einfachere und lukrativere Hacks. Die Daten von SwissCovid sind vergleichsweise nutzlos. Mein Datenschützer-Selbst war beruhigt. Es erleichterte mich, dass ich von der Tracing-App Gebrauch machen kann und damit helfe, Ansteckungsketten zu erkennen und zu unterbrechen, ohne dabei gleich die eigenen Prinzipien reihenweise über Bord zu werfen. Da ein Impfstoff gegen COVID-19 noch nicht um die Ecke liegt, muss unser Handeln dem Schutz der vulnerablen Personen gelten. Eine Proximity-Tracking-App wie SwissCovid ist ein wichtiges Puzzleteil im Kampf gegen das Coronavirus. Jede verhinderte Ansteckung schützt weitere Personen und nützt schlussendlich unserer Gesellschaft.
Gleichzeitig ist mir durch die Installation der SwissCovid-App wieder schmerzlich bewusst geworden, wie ketzerisch mein Umgang mit meiner Privatsphäre und dem Verfechten des Datenschutzes ist. Ich sende tagtäglich eine gewaltige Menge an Daten an den Hacker Way 1 in Menlo Park (Facebook), den Infinite Loop 1 in Cupertino (Apple) oder den Amphitheatre Parkway 1600 in Mountain View (Google) ohne mir darüber Gedanken zu machen. Sobald aber eine staatliche Institution mittels Datenauswertung die Bevölkerung vor einer Ansteckung mit einem heimtückischen Virus schützen will, werde ich zum Berserker.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass mich die Unternehmen aus dem Silicon Valley, sofern sie meine Daten ernsthaft und nicht «nur» für Werbezwecke auswerten, besser kennen als ich das selbst tue. Dieser Gedanke allein ist beängstigend genug, dass ich am liebsten sofort all meine Online-Konten löschen und mein Smartphone im Klo runterspülen möchte. Mit all den Spuren, die ich in bereits im Netz hinterlassen habe, wäre die Wirkung einer solchen Kurzschlussreaktion gleich null. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Privatsphäre ist notwendig. Sie macht deutlich, wie wichtig es wäre, dass wir uns vehementer für den Schutz unserer Daten, die wir in sozialen Medien und generell im Internet als Währung für «lebenserleichternde» Dienste preisgeben, einsetzen. Eine Diskussion über Privatsphäre und Verwendung sowie Speicherung persönlicher Daten ist nicht zu umgehen. Das gilt für Tracing-Apps und für Dienste der «Big Tech»-Unternehmen gleichermassen. Zu Hobby-Datenschützern zu mutieren und gegen staatliche Überwachung anzubrüllen, wenn das Bundesamt für Gesundheit aus hehren Gründen eine Tracing-App lanciert, verfehlt das Ziel.